Bisher hat das linksgrüne Bürgertum über Zeitgeist und Moral geherrscht. Das ist jetzt vorbei. Das Juste Milieu verliert an Einfluss – und bäumt sich ein letztes Mal auf.
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Bisher hat das linksgrüne Bürgertum über Zeitgeist und Moral geherrscht. Das ist jetzt vorbei. Das Juste Milieu verliert an Einfluss – und bäumt sich ein letztes Mal auf.

Seit der ersten rot-grünen Koalition in Deutschland hat sich beim linksgrünen Bürgertum eine bemerkenswerte Anspruchshaltung herausgebildet. Man hat sich daran gewöhnt, den Staat zu melken, um die eigenen Lieblingsprojekte zu fördern.
Längst geht es dabei nicht mehr um punktuelle Unterstützung, sondern um die Absicherung ganzer Industriezweige der Empörungs- und Klageindustrie. Die kümmert sich um Klima- und Gendergerechtigkeit, das Wohlergehen von Waldameisen, genfreie Nahrungsmittel oder die ganzen Wenden: Von der Energie- und Verkehrswende bis zur Biodiversitäts- und Ernährungswende.
Parallel dazu gelang es mit Hilfe der Medien, mit immer neuen Katastrophenszenarien und der Verheißung eines grünen Wirtschaftswunders durch regenerative Energie und Elektromobilität, die arbeitende Bevölkerung von der grünen Politik zu überzeugen. Es herrschte Konsens, dass grüne Politik die richtige ist.
Doch der ist jetzt dahin.
Die kulturelle Hegemonie des linksgrünen Bürgertums wackelt. Wirtschaftskrise, Jobverluste, dramatisch steigende Preise für Tanken, Heizen, Wohnen und Lebensmittel, Gewalt in den Städten, unhaltbare Zustände in den Schulen, Gängelei im Alltag – der Unmut ist groß, abzulesen an den dramatisch wachsenden Umfrageergebnissen der AfD. Wir erleben das letzte Aufbäumen dieser Hegemonie und dabei wird sichtbar, wie groß das Anspruchsdenken war.
Anfang September geschahen mehrere Dinge, die den Stimmungswechsel deutlich machen. Als erstes teilte der NDR mit, er werde Julia Ruhs, einer Journalistin, die sich nach eigener Aussage dem konservativen Lager zugehörig fühlt, die Moderation des politischen Magazins „Klar“ entziehen.
Kurz darauf meldete das ZDF, es werde die Anzahl der Sendungen des Böhmermann- Magazins reduzieren. In Sachen NGO-Förderung wurde bekannt, dass neben linken und grünen Thinktanks nun erstmals auch eine konservative Denkfabrik, der Verein Republik21 eine Förderung aus dem Staatshaushalt erhält.
Die Reaktionen auf diese Entwicklungen waren bemerkenswert. Sie zeigen die Verunsicherung, die auftritt, wenn die bisher üblichen Mechanismen nicht mehr funktionieren und plötzlich andere politische Strömungen ihr Recht auf Gehör und Unterstützung geltend machen.
Aber der Reihe nach.
Nehmen wir etwa die Reaktion des NDR-Intendanten bei der Affäre um die BR-Journalistin Julia Ruhs.
Ihrer Absetzung war zunächst ein beispielloses, internes Mobbing vorangegangen. So schlugen NDR-Mitarbeiter im Kollektiv auf Mitarbeiterversammlungen, Redaktionskonferenzen und in verschiedenen Sendungen auf die junge Kollegin ein – stigmatisierten etwa ihre Sendung in aller Öffentlichkeit als „rechtspopulistischen Quatsch“ oder als „ein bisschen rechtsextrem“. Das alles wurde sorgfältig orchestriert von einer privaten Signal-Gruppe von ARD-Mitarbeitern, der die Strippenzieher den schönen Namen „Un-Klar“ gaben.
Von links wurde diese Hatzjagd der Kollegen als harmlose Gerüchte oder alltägliche Qualitätskontrolle abgetan. Das habe mit Cancel-Kultur nichts zu tun, hieß es etwa aus der NDR-Redaktion. Der Rauswurf von Ruhs sei ein ganz normaler Vorgang gewesen, wie er täglich tausendfach in Unternehmen vorkomme, wenn es der Mitarbeiter an guter Arbeit fehlen lasse, hieß weiter. Dass sämtliche Klar-Beiträge von der Chefredaktion abgenommen wurden, verschwieg man. Mit der Entgegnung Ruhs könne doch – nach wie vor – die vom Bayerischen Rundfunk produzierten Folgen moderieren, wiegelt man ab. Gelten dort plötzlich andere Qualitätsstandards?
Dass sich „250 Mitarbeiter*innen“ gegen ihre Vorgesetzten auflehnten, sei „kein Ausdruck von Cancel-Culture, sondern gelebter Widerstand“, schrieb etwa die „Taz“. Es sei „Aufgabe“ der Mitarbeiter, „einzuschreiten, wenn sie die Vorschriften eines Grundsatzes verletzt sehen.“ Das habe weder etwas mit „politischen Befindlichkeiten“, noch mit Canceling zu tun, sondern mit der Beachtung des „NDR-Staatsvertrags“, liest man weiter.
Im „Stern“ trat man regelrecht nach. Ruhs „polarisiere nicht nur mit ihrer Sendung „Klar“, heißt es da, sondern auch mit Posts auf Social-Media und ihrer „Focus“-Kolumne „Regt euch doch auf“. Darin, so empörte sich der Stern, wettere sie gegen „woken Irrsinn“, „Queer-Gaga“ und die Grünen. „Zukünftig wird sie für die Kolumne wohl etwas mehr Zeit haben“, fügte man gehässig hinzu.
Jetzt sieht man aber: Die Zeiten, in denen solche Verdrehungen in den eigenen Reihen widerspruchslos hingenommen werden, sind vorbei.
Während der Sitzung des NDR-Rundfunkrats in der vergangenen Woche gab NDR-Programmdirektor Frank Beckmann zu, dass man vom Widerspruch überrascht worden sei: „Wir haben nicht damit gerechnet, dass das höchste politische Kreise erreicht.“ Und NDR-Intendant Lünenborg fügte kleinlaut hinzu: „Unsere Debattenkultur ist im Moment nicht im allerbesten Zustand.“ Und schließlich redete der für „Klar“ zuständige NDR-Redaktionsleiter Thomas Berbner Klartext und berichtete, dass NDR-Kollegen Mitglieder des „Klar“-Teams gemobbt und ihnen unterstellt hätten, in der AfD zu sein.
Das alles ist neu und zeigt, dass in den Sendeanstalten nicht mehr alle gewillt sind, eine einseitig politische Ausrichtung schweigend hinzunehmen.
Dass sich das Klima ändert, zeigte sich auch in Düsseldorf, als ein aktiver ZDF-Journalist in einer Anhörung im NRW-Landtag berichtete, dass die ZDF-Leitung Einfluss auf seine Berichterstattung nahm und in einem Fall seine geplante Berichterstattung ganz verhinderte.
Sogar Sprachregelungen wurden den Mitarbeitern an die Hand gegeben. Zudem gibt es beim ZDF kein Redaktionsstatut zur Absicherung innerer Pressefreiheit und kein Mitspracherecht. Kritik werde oft mit Einschüchterungsversuchen beantwortet und in einem Fall sei sogar ein Rausschmiss die Konsequenz gewesen.
Der „Frontal“-Journalist schilderte zudem Fälle, in denen Politiker, Lobbyisten und externe Experten für Hintergrundgespräche Zugang zu Redaktionen bekämen, ohne dass klar gewesen wäre, wer diese Einladungen ausgesprochen habe oder nach welchen Kriterien sie erfolgt seien. Ähnliche Unklarheit bestehe über die Erstellung von Expertenlisten, die zu bestimmten Themen genutzt werden sollten.
Angesichts dieser Entwicklung ist es tollkühn, wenn die gleichen Leute, die Ruhs’ Rausschmiss als ganz normalen Vorgang ausgeben, kurz darauf gleich „unsere“ Demokratie in Gefahr sahen – nämlich als bekannt wurde, dass das ZDF die Produktion der Böhmermann-Sendungen einschränken (20 statt 33) und die Reihe „Hannes Jaenicke: Im Einsatz für…“ aus dem Programm nehmen will.
Böhmermanns Magazin ist, um es vorsichtig auszudrücken, weit davon entfernt, konservative Inhalte zu verbreiten; Jaenicke, ein bekennender Grüner, ist ein aktivistischer Schauspieler, der es in seiner Serie mit den Fakten nie so genau nahm und auch ansonsten für dubiose Positionen bekannt ist. Dennoch gilt er im Sender als seriöser Experte für Klimakatastrophe, Insektensterben und Biolandbau.
Der „Stern“, der zuvor die gecancelte Journalistin Julia Ruhs verhöhnte, konnte sich angesichts der angekündigte Böhmermann-Kürzung vor Empörung kaum noch halten. Wenn solche Sendungen „eingedampft“ würden, hieß es von einer Medienwissenschaftlerin, sei das „dramatisch“ und „ein Warnsignal für den Status unserer Demokratie“. Wenn man den öffentlich-rechtlichen Rundfunk schwäche, so schrieb sie, sei das „eine Steilvorlage für politisch rechte Kräfte.“ Deutschland drohe eine Situation wie in Ungarn oder Trumps Amerika, hieß es weiter.
Den gleichen Untergang „unserer“ Demokratie witterten grüne Politiker, als in der gleichen Woche bekannt wurde, dass die Regierung in Zukunft nicht nur SPD- und Grünen-nahe Thinktanks finanziell unterstützen will, sondern auch konservative.
Die Koalition hatte beschlossen, den konservativen (und meist mit dem Allzweck-Diskreditierungsadjektiv „umstritten“ versehenen) Verein „Republik21“ mit 250.000 € aus dem Bundespresseamt und damit aus dem Geschäftsbereich von Bundeskanzler und Kanzleramt zu fördern.
Die Empörung aus dem linken Lager folgte reflexhaft. Das sei ein Schritt zur Normalisierung der AfD, tönte es schrill von Andreas Audretsch, dem stellvertretenden Vorsitzenden der grünen Fraktion im Bundestag. Dass aus dem gleichen Topf das von den Grünen-Politikern Marieluise Beck und Ralf Fücks gegründete „Zentrum Liberale Moderne“ und das SPD-nahe „Progressive Zentrum“ schon seit Jahren mit je 500.000 Euro pro Jahr finanziert wird, hat grüne Politiker bislang allerdings nicht gestört.
Geht es aber plötzlich um eine andere politische Richtung, ist eine staatliche Förderung der Meinungsbildung „skandalös“ und schwäche „die liberale Demokratie und den gesellschaftlichen Zusammenhalt“, wie es die Grünen-Politikerin Marlene Schönberger formulierte.
Dabei ist die Aufregung, die die NGO-Unterstützung im linken und grünen Spektrum hervorruft, sehr entlarvend, denn sie zeigt, dass diejenigen, die ansonsten jede Förderung linker, grüner und woker NGOs als „Stärkung der Zivilgesellschaft“ abfeiern, durchaus erkennen, worin das Problem besteht.
Ironischerweise bringt die NGO-Entscheidung den Konservativen mehr Schaden als Nutzen. Denn erst vor kurzem hatte „Republik21“ ein „Manifest für eine bürgerliche Reformagenda“ veröffentlicht, in dem es heißt, dass es ein Problem sei, wenn NGOs mit staatlichen Mitteln finanziert werden, weil man damit „den freien Wettbewerb der Ideen und Meinungen“ verzerrte. Daher müsste man „die öffentlichen Gelder für NGOs mit einer politischen Agenda“ streichen, heißt es weiter.
Die CDU war dieser Position zugeneigt und schlug in der Koalition vor, die staatliche Förderung von politischen Denkfabriken ganz einzustellen. Ausgerechnet die SPD verhinderte das – und hat somit die erste staatliche Förderung einer konservative Denkfabrik den Weg gebahnt.
Nach diesem Sündenfall ist eine glaubhafte Unterstützung seitens der CDU für dieses Anliegen dahin. Wer nach wie vor Front gegen die staatliche Finanzierung parteinaher Aktivitäten macht, findet politische Unterstützer dafür jetzt nur noch ganz rechts außen.
Ich bin sicher, im Grunde ihres Herzens jubeln die Grünen, denn nun ist es ein leichtes, alle, die die staatliche Unterstützung von parteipolitischen Vorfeldorganisationen kritisieren, als rechtsextrem zu diskreditieren.
Andererseits: Es ist ihr letztes Aufbäumen. Gönnen wir ihnen den vermeintlichen Sieg.
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